Als Armutszeugnis der Bundesregierung bezeichnet der Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste (SDN), Dieter Harrsen, den gestern veröffentlichten Beschluss der Bundesregierung, auf die immer wieder geforderte Deutsche Küstenwache zu verzichten.
»Damit bleibt es also bei dem Wirrwarr von 15 verschiedenen Landes- und Bundesbehörden, die sich um die Sicherheit vor unseren Küsten kümmern sollen. Beim nächsten größeren Ölunfall fliegt uns dieses System um die Ohren«, ist Harrsen sicher.
Die hoheitlichen Aufgaben auf See umfassen die Gefahrenabwehr einschließlich Katastrophenschutz und Terrorbekämpfung, die Strafverfolgung, den polizeilichen Grenzschutz, die Verhinderung illegaler Migration, die Fischereiaufsicht, die Zollkontrolle und die Verhinderung und Bekämpfung von Meeresverschmutzungen.
Zuständig sind zur Zeit die Bundespolizei, gesteuert vom Bundesministerium des Inneren, der Zoll (Bundesfinanzministerium), die Fischereiaufsicht (Bundeslandwirtschaftsministerium), die Schifffahrts- und Verkehrskontrolle (Bundesverkehrsministerium) sowie die Wasserschutzpolizeien und Fischereidienste der fünf Küstenländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern.
Zwar arbeiten sie zusammen – aber nur auf Grundlage einer Vielzahl wechselseitiger Vereinbarungen und rechtlicher Hilfskonstruktionen wie Organleihe und Amtshilfe. »Doch im Ernstfall fehlt einfach die Zeit für Absprachen und die Anforderung von Hilfen auf dem Dienstweg: Dann muss die Weisungs- und Befehlsgewalt in einer Hand liegen, sonst kann jeder Unfall blitzschnell zur Katastrophe werden. Die ersten Minuten sind entscheidend«, erklärt Harrsen.
In ihrem Koalitionsvertrag hatten CDU/CSU und FDP sich noch verpflichtet, das Behörden-Sammelsurium zu einer Einheit zusammenzuführen. »Sich davon zu verabschieden, ist ein bodenloser Leichtsinn und gefährdet sowohl Menschenleben als auch Umwelt«, erklärt Dieter Harrsen. Föderalismus und Ressortdenken hätten sich wieder einmal durchgesetzt.
Harrsen erinnert daran, dass die SDN bereits vor Monaten eine unabhängige Organisationsuntersuchung zur Optimierung der Kosten und Abläufe auf See gefordert hat: »Wir leisten uns den Luxus, Steuergelder für eine Behördenvielfalt zu verschwenden, weil die zuständigen Politiker offensichtlich nicht die Kraft aufbringen, sich gegen die Beharrungskräfte in den Ministerien durchzusetzen«, analysiert er.
Wolle Deutschland sich gegenüber der internationalen Schifffahrt Respekt verschaffen und für Abschreckung und Vorbeugung sorgen, führe an einer schlagkräftigen, professionellen Küstenwache kein Weg vorbei.
Text als PDF-Datei: PM 11-07-22 Verzicht auf nationale Küstenwache ist Armutszeugnis